Als ich 6 Jahre alt war, wollte ich das Klavierspiel erlernen. Ich spielte damals schon etwas Geige, aber nur eine Melodie zu spielen, erschien mir ziemlich unbefriedigend zu sein. Mein Vater hatte nichts dagegen. Ihn hatte es zeitlebens gestört, dass er, wie er meinte, seine Kenntnisse nicht weiter entwickeln konnte, da ihm das Klavier als Harmonieinstrument fehlte.

Es musste also dringend ein Lehrer gefunden werden. Meine Mutter übernahm diese Aufgabe. Doch waren ihre eigenen Kenntnisse äußerst beschränkt, sodass es für mehrere Jahre nur zu einem Kennenlernen der Klaviertasten kam. So gut sie es meinte, war sie eigentlich eine schreckliche Lehrerin. Obzwar ich das Interesse am Instrument nie verlor, so verlor ich doch jede Lust am Üben.

Immerhin aber hatte mir dieser misslungene Einstieg eines gegeben: es machte mir Freude, auf dem Instrument zu improvisieren und es half mir spielerisch, meinem Drang nachzugeben, Musik schreiben zu wollen. Ich erinnere mich gut daran, ein Stücklein mit dem dramatischen Titel »Der Sturm« aufgeschrieben zu haben. Natürlich waren darin viele chromatische Läufe über alle Tasten enthalten. Leider las ich zur selben Zeit eine Biographie über Brahms, und besonders beeindruckte mich dessen selbstkritische Haltung, die dazu geführt hatte, dass er viele seiner Frühwerke vernichtete. Und so tat ich es ihm nach, vernichtete viele meiner frühen Stücke, sobald diese mir nicht oder nicht mehr gefielen. Daher kann ich heute nicht mehr nachvollziehen, ob die Chromatik für mich wichtig war oder nur Ornamentik.

Inzwischen wollte meine Mutter, dass ich Chopin spiele. Meine Hand- und Fingerhaltung muss damals entsetzlich gewesen sein, ich war wohl sehr ungelenk und ungeschickt, als mein Vater mich 1962 in Stockholm zum Direktor der Östermalms Musikskola mitnahm. Walter Wasservogel war ein gebürtigen Wiener, der Österreich auf der Flucht vor dem Naziregime verlassen musste und in Stockholm hängen geblieben war. Er war ein angesehener Lehrer, dem man aber eine Professur an der Königlichen Musikakademie in Stockholm verwehrte, die damals ausschließlich schwedischen Lehrkräften vorbehalten war. Man glaubte in Schweden, dem Vorbild Frankreichs mit seinem Conservatoire folgen zu müssen, schließlich war ja auch die Erneuerung der schwedischen Monarchie dem französischen Graf Bernadotte zu verdanken. (1810 wurde Jean-Baptiste Bernadotte, Marschall von Frankreich und napoleonischer Fürst von Pontecorvo, vom letzten König aus dem Hause Holstein-Gottorp, Karl XIII., adoptiert und nach dessen Ableben als Karl XIV. Johann zum König von Schweden gekrönt.)

So hatte ich dann das Glück, einen Lehrer zu erhalten, der mir in nur sieben Monaten nicht nur die fehlenden Grundlagen des Klavierspiels beibrachte, sondern mir überdies – als Nachfolger der Liszt-Schule und dessen Bestrebungen, den Konservatoriumsgedanken zu verbreiten – auch Grundlagen zu einem universellen Musikstudium vermittelte, Grundlagen, die mir auch den Weg zum späteren Dirigier- und Kompositionsstudium aufzeigten. Wasservogel nahm sich Zeit für mich und führte mich auch als erster zu den Werken von Bach und Beethoven.

Als meine Familie Stockholm verließ, um mir ein Musikstudium in Wien zu ermöglichen, wusste ich noch nicht, dass das Klavier dabei nicht die Hauptrolle spielen würde. Ich sollte ein Geigenstudium durchlaufen und alles andere nur »nebenher« treiben, also auch das Klavier. Ich erhielt eine gewissenhafte, wenngleich ziemlich biedere Lehrerin, Maria Brunthaler-Peros, und das Fach wurde »Pflichtfach« genannt. Allerdings war sie ehrgeizig genug, mehr als ihre Pflicht zu tun, und so spielte ich auch als Pianist zumindest einmal jährlich vor Publikum.

Als ich für ein Gaststudienjahr 1968 mit meinem Vater nach Finnland fuhr, erhielt mein Klavierspiel einen neuen Impuls. Der an der Sibelius-Akatemia unterrichtende japanische Klaviervirtuose Izumi Tateno nahm mich unter seine Fittiche. Innerhalb kürzester Zeit spielte ich die Scherzi von Chopin und einige schwierigen Beethoven Klaviersonaten, auch wies er mich in das Klavierwerk von Jan Sibelius ein.

Seither trete ich immer wieder als Pianist auf, zuweilen auch als Klavierbegleiter. Das Klavier ist für mich aber auch ein Instrument, das mir das Studium von Dirigierpartituren erleichtert und mir hilft, meine Kompositionen zu überprüfen. Obzwar die Violine mir immer meinen Lebensunterhalt abgesichert hat, so ist es doch das Klavier, das an entscheidenden Wendepunkten meines Lebens und Veränderungen meines Stils wesentlich wurde. Als ich begann, mich mit Intervallstrukturen zu beschäftigen und von Wien nach Genf übersiedelte, schrieb ich die Stuctures op. 7/II. Als ich begann, mich mit Temporelationen auseinanderzusetzen – gleichzeitig war ich an der Wiener Staatsoper engagiert worden – entstanden die Bagatellen auf den Namen György Ligeti op. 14/3a. Jedesmal, wenn es zu einschneidenden Veränderungen kommt, brauche ich das Klavier: es hilft mir, die Triebkräfte, die Harmonik weiterzuentwickeln, zu beherrschen.

Violine und Klavier ergänzen sich in meinem Leben in idealer Weise. Es gibt Bereiche, die das Klavier einfach nicht übernehmen kann, und es gibt Bereiche, die unerreichbar für die Geige sind. Es sind zwei völlig verschiedene Instrumente, die auch etwas völlig verschiedenes zu geben imstande sind.

Hörprobe:

Sitzchen auf den Namen Ernst Krenek

René Staar - Sitzchen auf den Namen Ernst Krenek

Aufgenommen am 3. Mai 2006 im Schönberg-Haus Mödling