À la mémoire des années que Strawinsky a vécu au Lac Léman


Besetzung: für 3 Klarinetten
Entstehung: Herbst 1983
Aufführungsdauer:
ca. 18 Minuten
Uraufführung der beiden Menuette: am 26. März 2011 in der Kirche St. Otmar in Wien durch das »ensemble clarinettissimo« (Stefan Neubauer, Michael Dominik, Thomas Obermüller)
Gesamt-Uraufführung: am 7. Juni 2017 in der Alten Schmiede Kunstverein, Wien, durch das »ensemble clarinettissimo« (Stefan Neubauer, Michael Dominik, Thomas Obermüller)

 

Erschienen bei Edition Contemp Art (Verlagsgruppe Hermann),
erhältlich über www.schott-music.com
Bestellnummer: VGH 2341-71 (Partitur und Stimmen)



Die Lektüre eines musikwissenschaftlichen Buchs über die Divertimenti und Serenaden von Mozart und ein fast fünfjähriger Aufenthalt in der Westschweizer UNO-Stadt Genf sind gleichberechtigte Paten für eines der ersten großen zyklischen Projekte des Komponisten. Dieser Aufenthalt wurde zum intensiven Studium klassischer und moderner Meisterwerke genutzt, Dutzende von Ideen zu neuen Werken entstanden, die aber oft durch sich ändernde Lebensumstände nicht weiterentwickelt werden konnten. Das ist letztlich auch einer der Gründe, wieso das Oeuvre des Komponisten so viele Fragmente aufweist.

Zwei der geplanten Divertissements Suisses konnten damals zur Gänze ausgeführt werden, von zwei weiteren wurden Teile komponiert, der Kompositionsbeginn des 5. Divertissements sollte erst 1994 erfolgen.

Das erste dieser Divertissements Suisses erhielt seine Inspiration aus der spirituellen Nähe zu einem Ort am Genfer See, der im 1. Weltkrieg Igor Strawinkij als Refugium gedient hatte – wie auch der Klassizismus insgesamt dieses Divertissement beeinflusste. Das fünfsätzige Werk für drei Klarinetten enthält nicht nur viele Anspielungen an Strawinskijs Musik, sondern auch an Staars (sechs Jahre zuvor entstandene eigene) Sonatine op. 2, ebenfalls komponiert für drei Klarinetten. Zwei Menuette, eine zweiteilige Liedform und ein Rondo folgen ganz der zweihundertfünfzigjährigen Tradition des Divertimentos der Wiener Klassik, wobei aber die Intervallik und die strukturelle Verarbeitung, die bereits in Op. 2 einsetzten, weiterentwickelt wurden. Verglichen mit der Sonatine weist dieses Werk eine reichere Konzeption und Ausführung mit wesentlich weiter führenden kompositorischen Mitteln auf.

Es nimmt in diesem Zusammenhang nicht wunder, dass im Entstehungsjahr auch das erste Orchesterwerk entstand, die Movimientos para Don José Haydn op. 8, die formal wie die Symphonie Nr. 88 von Joseph Haydn gebaut sind, wenngleich das intervallische Denken allmählich in einen Prozess harmonischer Innovation einmündet und damit zu einem ganz persönlichen Stilmittel wird.

Im Divertissement Nr. 1 gibt es (ebenfalls ähnlich wie in der Sonatine) ein Motto, das erstaunliche Ähnlichkeiten, aber auch große konzeptionelle Unterschiede zum früheren Werk (also zur Sonatine) erkennen lässt. Die dreitönige Figur des Mottos der Sonatine, bestehend aus einem Ganz- und einem Halbton, wird wieder aufgegriffen, hier jedoch nicht horizontal, sondern vertikal als Harmonie, die sich mit einer zweiten, eine große Terz darüber liegenden identen Harmonie abwechselt.

Diese erscheint in einer neuen Variante, in einer Umkehrung, die im Unterschied zur intervallischen Enge der Sonatine die intervallische Dimension substantiell erweitert, was sich auf die vielfältigen Verarbeitungsprozesse der Motive und Themen, ja auch auf die rhythmisch komplexeren Gestaltung des Werks auswirkt. Auch andere Bezugspunkte zur früheren Sonatine können gefunden werden, z.B. engere intervallische Legato-strukturen, die als Kontrastmittel zu Teilen mit weiten Sprüngen im Staccato vor allem im abschließenden Rondo eingesetzt werden. Dabei sind die Assoziationen zu Strawinskij vor allem im dritten Satz deutlich ablesbar, durch die Reminiszenz einer Idee aus dem Sacre in Kombination mit einem Choral (einem Element der Histoire du Soldat).

Tonrepetitive Elemente, aber auch rhythmische Zellenbildung sind weitere Elemente dieses Divertissements, die auf Strawinskij verweisen. Diese werden zwar keineswegs in konkreten Zitaten manifest, die Betrachtung mehrerer Werke dieser Zeit lässt aber in diesem Werk das sehr nahe geistige Verhältnis des Komponisten zu seinen Vorbildern erkennen.